Schutzmassnahmen für Amphibien an Verkehrswegen
Verkehrswege wie Strassen und Eisenbahnlinien zerschneiden oft Lebensräume von Amphibien und können während der Laichzeit ein Amphibienmassaker verursachen. Davon betroffen sind vor allem Grasfrösche, Erdkröten, Bergmolche und teilweise auch Feuersalamander. Damit Populationen durch diese starken Verkehrsverluste nicht gefährdet werden und erlöschen, sind Gegenmassnahmen notwendig.
Konflikte zwischen Amphibien und Verkehr
Amphibien nutzen je nach Jahreszeit und Alter verschiedene Lebensraumtypen. Sie sind daher darauf angewiesen, zwischen diesen verschiedenen Lebensräumen wandern zu können. Wenn Verkehrswege diese Lebensräume oder Wanderrouten durchschneiden, führt dies potenziell zu Konflikten.
Die verschiedenen Amphibienwanderungen und Konflikte mit Verkehrswegen
Die folgende Illustration (aus: "Amphibien und Verkehr - Teilbericht saisonale Wanderungen", 2019) veranschaulicht die verschiedenen Amphibienwanderungen (Dispersion und saisonale Wanderungen) sowie die potenziellen Konflikte mit Verkehrswegen.
Dispersion (A): bezeichnet die Wanderung zwischen Populationen. Sie dient dem genetischen Austausch und Neubesiedlungen und findet regional, ungerichtet und ganzjährig statt.
Saisonale Wanderung: betrifft die Wanderung innerhalb Populationen und findet lokal, gerichtet und saisonal statt:
- Laichwanderung (B): Wanderung vom Winterquartier zum Laichgewässer (Februar - April)
- Rückwanderung (C): Vom Laichgewässer zurück ins Landhabitat/Sommerlebensraum (März - Mai)
- Jungtierwanderung (D): Jungtiere wandern nach der Metamorphose ins Landhabitat (Juni - Juli)
- Herbstwanderung (E): Wanderung Adulter in das Winterquartier oder zum Laichgewässer zur Überwinterung (September - November)
Die auffälligste Wanderung ist jene im Frühjahr, bei welcher die adulten Tiere ungefähr zum gleichen Zeitpunkt zum Laichgewässer wandern. Sie ist deshalb am einfachsten zu dokumentieren und mit mobilen Massnahmen zu schützen. Für das Fortbestehen einer Population müssen jedoch alle Wanderungen möglich bleiben.
Abklärung einer Zugstelle
Grundlagen zusammentragen
Ob in einer bestimmten Situation Amphibien-Schutzmassnahmen an Strassen oder Bahnlinien sinnvoll und umsetzbar sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Deshalb sind als Erstes Grundlagen zur Analyse der Situation zusammenzutragen:
- Situationsplan (Wanderrichtung, Laichgewässer, Winter- und Sommerlebensräume der Amphibien)
- Artenspektrum (bei nächtlichen Patrouillen oder an temporärem Amphibienzaun erfassen)
- Ausmass der Amphibienwanderung (bei nächtlichen Patrouillen oder an temporärem Amphibienzaun zählen)
- Verkehrsfrequenz (Strasse, Bahn)
- Weitere Angaben, z.B. Beobachtungen von Anwohnern zum Konfliktausmass, Vorhandensein potentieller HelferInnen aus Naturschutzvereinen; Inventare; Gelände (felsig, steil, …), vorhandene (Bach-)Durchlässe
Anhand dieser Grundlagen wird abgeschätzt, ob Massnahmen sinnvoll oder ob weitere Abklärungen notwendig sind. Die folgenden Kapitel zeigen auf, welche Massnahmen in welchen Situationen zur Anwendung kommen. Sollten Sie weitere Fragen haben, wenden Sie sich an die Beratungsstelle Amphibien (karch).
Übersicht der Schutzmassnahmen
Keine Schutzmassnahmen
In folgenden Situationen wird oftmals entschieden, keine Massnahmen zu ergreifen:
- Der Aufwand einer Rettungsaktion mit einem temporären Amphibienzaun oder Patrouillen wird im Verhältnis zur Anzahl Tiere als zu gross empfunden (bei weniger als 100 wandernden Tieren pro Jahr).
- Es ist nur ein kleiner Teil der Population betroffen, der Rest erreicht das Laichgewässer aus einer anderen Richtung.
- Das Laichgewässer liegt mehrere hundert Meter von einer nachts wenig befahrenen der Strasse entfernt und die Amphibien wandern auf einem langen Strassenabschnitt an, sodass es zu keinen Häufungen von Tieren kommt
- Auf Strassen oder Bahnstrecken herrscht zur Wanderzeit (ca. 19h bis 6h) sehr wenig bis kein Verkehr.
Achtung: in all den oben aufgeführten Fällen bleibt die Barrierewirkung von Randsteinen, Geleisen, Kabelkanälen sowie die Fallenwirkung von Schächten etc. trotzdem bestehen! Können keine Schutzmassnahmen für die Amphibienwanderung getroffen werden, soll versucht werden:
- die Hindernisse und Fallen zu entschärfen (s. Abschnitt Massnahmen zur Behebung von Hindernissen) und
- die Fallenwirkung von Entwässerungsschächten zu verringern (Amphibienschutz in Entwässerungsanlagen).
Detaillierte Entscheidungshilfen finden sich im Projektbericht «Konflikt Amphibien und Verkehr», Teilbericht saisonale Wanderungen und in der VSS-Norm SN 640698a: Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Grundlagen und Planung (1996, überarbeitet 2009).
In allen anderen Fällen sollten Schutzmassnahmen getroffen werden.
Schutzmassnahmen an Strassen
Die passende Massnahme für die konkrete Situation wird vor Ort unter Beizug einer Fachperson oder der regionalen karch-Vertretung sowie der zuständigen Behörde (Gemeinde, Kanton) definiert.
In der folgenden Übersicht werden die verschiedenen Massnahmen und ihre Vor- und Nachteile vorgestellt (aus: Projektbericht "Amphibien und Verkehr - Teilbericht saisonale Wanderungen", Tabelle 4, ergänzt durch Bemerkungen).
Massnahmentyp | Kosten | Vorteile | Nachteile | Zu Beachten |
---|---|---|---|---|
Warnschild |
Gering |
|
|
Schützt hauptsächlich die HelferInnen an Amphibienzäunen. Kann mit Blinklichtern kombiniert werden. Warntafeln werden von der zuständigen Behörde aufgestellt. |
Einsammeln von Hand, nächtliche Patrouillen |
Gering |
|
|
Amphibien werden in guten «Amphibiennächten» von Hand eingesammelt und über die Strasse getragen. Helfende müssen kurzfristig in günstigen Nächten verfügbar sein. Sinnvoll wo ein Aufstellen von Zäunen unmöglich ist (z.B. Steilhänge, Wohnquartiere) oder zur Abklärung der Situation |
Durchgehende Strassensperrung während Laichwanderung |
Gering |
|
|
Ca. Mitte Februar bis Mitte April. Sperrung und Umfahrungsmöglichkeit müssen signalisiert und der Bevölkerung kommuniziert werden. |
Nächtliche Strassensperrung während Laichwanderung |
Gering |
|
|
Ca. Mitte Februar bis Mitte April, ca. 18h bis 6h. Sperrung und Umfahrungsmöglichkeit müssen signalisiert und der Bevölkerung kommuniziert werden. Gut geeignet auf Nebenstrassen. |
Durchgehende oder nächtliche Strassensperrung während allen Wanderperioden | Gering |
|
|
Ca. 18h bis 6h oder durchgehend. |
Amphibienzaun |
Mittel |
|
|
Weitere Informationen : VSS-40699a : Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019) * |
Zusatzgewässer (auf Seite Landlebensraum) |
Mittel |
|
|
Oft kein gleichwertiger Ersatz für bestehenden Lebensraum. Im Idealfall mehrere neue Gewässer. Mortalität kann reduziert werden, wenn zusätzlich ein Zaun aufgestellt wird. |
Faunagerechter Bachdurchlass |
Mittel |
|
|
Auch bestehende Bachdurchlässe können nachträglich faunagerecht angepasst werden. VSS-40696 : Fauna und Verkehr. Faunagerechte Gestaltung von Gewässedurchlässen (2011) * |
Kleintierdurchlässe mit Leitwerken [alle 25 m ein Durchlass] |
Sehr hoch, günstiger in Kombination mit Strassensanierungen |
|
|
Muss korrekt nach Norm erstellt sein: SN 640699a: Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019)* |
* Die aufgeführten VSS-Normen können beim Schweizerischen Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS, Sihlquai 255, 8005 Zürich, www.vss.ch, bestellt werden.
** Die Version von 2009 dieser VSS-Norm kann im Shop info fauna bezogen werden
Schutzmassnahmen an Bahnen
Während überfahrene Amphibien auf Strassen oft durch aufmerksame Anwohner gemeldet werden, fallen Amphibiensterben an Bahnlinien nicht auf, da sich dort selten jemand aufhält. Deshalb ist dazu auch noch weniger bekannt.
Im Rahmen des BAFU-Projekts «Amphibien und Verkehr - Teilbericht saisonale Wanderungen» wurden potentielle Konfliktstandorte an Bahnlinien eruiert und im Folgeprojekt «Methodologie Konfliktstandorte bei der Bahn» wurde ein Vorgehen zur Abklärung dieser Standorte definiert. Zudem laufen in der Schweiz verschiedene Pilotprojekte und Wirkungskontrollen zu Amphibienschutz-Massnahmen an Bahnen.
Welche Massnahme für die konkrete Situation geeignet ist, wird vor Ort unter Beizug einer Fachperson oder der regionalen karch-Vertretung sowie der zuständigen Behörde (Gemeinde, Kanton) festgelegt.
Die folgende Übersicht zeigt die verschiedenen Massnahmen sowie deren Vor- und Nachteile (aus: Projektbericht "Amphibien und Verkehr - Teilbericht saisonale Wanderungen", Tabelle 5, ergänzt durch Bemerkungen).
Massnahmen an Bahnen |
Kosten | Vorteile | Nachteile | Zu Beachten |
---|---|---|---|---|
Schotter tief planieren |
Gering |
|
|
7 cm Zwischenraum besser als 5c m (in Norm). Barrieren wie Kabelkanäle etc. müssen auch überwindbar sein, s. Massnahmen zur Reduktion von Hindernissen und Fallen. VSS-40699a: Fauna und -Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019)* Videos und Beschrieb:
|
Schotter tief planieren mit Amphibienableitblechen [alle 3-5 Querbalken]. |
Gering |
|
|
Amphibienableitbleche leiten längs auf dem Gleisfuss wandernde Tiere zu den Durchgängen. Barrieren wie Kabelkanäle etc. müssen auch überwindbar sein, s. Massnahmen zur Reduktion von Hindernissen und Fallen. VSS-40699a: Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019)* In der Schweiz laufen Wirkungskontrollen. Videos und Beschrieb:
|
Zusatzgewässer (auf Seite Landlebensraum) |
Mittel |
|
|
Oft kein gleichwertiger Ersatz für best. Lebensraum. Im Idealfall mehrere neue Gewässer. Mortalität kann reduziert werden, wenn zusätzlich ein Zaun aufgestellt wird |
Faunagerechter Bachdurchlass | Mittel |
|
|
VSS-40696 : Fauna und Verkehr. Faunagerechte Gestaltung von Gewässerdurchlässen (2011)* |
Gleisnaher Kleintierdurchlass mit Leitwerk [alle 25 m ein Durchlass] |
Mittel |
|
|
Barrieren wie Kabelkanäle etc. müssen auch überwindbar sein. Wird in den Niederlanden verwendet, in der Schweiz läuft eine Testphase (2022/23). |
Herkömmlicher Kleintierdurchlass mit Leitwerk [alle 25 m ein Durchlass] |
Sehr hoch, günstiger in Kombination mit Bahnsanierungen |
|
|
Muss i.d.R. 2m unter dem Gleiskörper liegen -> je nach Topographie nicht möglich. VSS-40699a : Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019)* |
* Die aufgeführten VSS-Normen können beim Schweizerischen Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS, Sihlquai 255, 8005 Zürich, www.vss.ch, bestellt werden.
** Die Version von 2009 dieser VSS-Norm kann im Shop info fauna bezogen werden
Videos
Schotter tief planieren
Massnahmen zur Reduktion von Hindernissen und Fallen
Neben der Gefahr durch den Verkehr selber gibt es an Strassen und Bahnlinien auch verschiedene Barrieren, die die Wanderung unterbrechen, sowie Fallen aus denen sich die Amphibien nicht mehr befreien können.
Hindernis oder Falle | Entschärfungsmassnahme | Zu beachten |
---|---|---|
Randsteine |
|
VSS-40699a: Fauna und Verkehr. Schutz der Amphibien, Massnahmen (2019)* |
Entwässerungssysteme |
|
Amphibien in Entwässerungsanlagen SN 640699, Anhang: Strassen und Entwässerungssysteme. Schutzmassnahmen für Amphibien. VSS, 2009* |
Steinkörbe |
|
|
Bankettsicherungssysteme (z.B. Rüglei, Ribbert) |
|
|
Betonmauern |
|
|
Lärmschutzwände |
|
|
Kabelkanäle |
|
*Die aufgeführten VSS-Normen können beim Schweizerischen Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS, Sihlquai 255, 8005 Zürich, www.vss.ch, bestellt werden.
** Die Version von 2009 dieser VSS-Norm kann im Shop info faunabezogen werden
Spezialfall Feuersalamander an Strassen
Der Feuersalamander gehört zu den langlebenden Arten und die Weibchen setzen pro Jahr verhältnismässig wenige Larven ab. Entsprechend gravierend wirken sich die Folgen einer verkehrsbedingt erhöhten Mortalität auf eine Feuersalamander Population aus.
Leider ist es in der Regel schwierig, wirkungsvolle Massnahmen zum Schutz des Feuer-salamanders an Strassen vorzuschlagen. Die Wanderkorridore des Feuersalamanders sind oft breit, da das Ziel ein Fliessgewässer ist. Zudem sind die Wanderungen zeitlich weniger eng begrenzt als bei anderen Arten und die Tiere verweilen verhältnismässig länger auf Strassen.
Die Sensibilisierung der Anwohner und die Aufforderung zu langsamerem Fahren bei regnerischem Wetter sowie je nach Situation die temporäre Sperrung der Strasse sind in vielen Fällen leider die einzigen Massnahmen, die empfohlen werden können, um die Strassenverluste von Feuersalamandern zu reduzieren.
Erfolgskontrolle der Schutzmassnahmen
Bereits im Baubudget einer Amphibienunterführung sind die Kosten einer Erfolgs- und Wirkungskontrolle vorzusehen. Teilweise kann eine geringfügige Anpassung die Akzeptanz einer Anlage durch die Amphibien beträchtlich erhöhen. Eine Funktions- sowie eine Akzeptanzkontrolle (Begriffserläuterung s. unten) gemäss dem Europäischen Standard sind bei jeder Anlage empfohlen.
Geise et al. (2008) führen vier Arten von Kontrollen auf :
- Funktionskontrollen: überprüfen den technischen Zustand sowie den Unterhalt der Kleintierdurchlässe. Sie sind Bestandteil von Bauabnahmen und Unterhaltsmassnahmen an der Verkehrsinfrastruktur.
- Akzeptanzkontrollen: untersuchen die Schutzwirkung der Anlagen auf Amphibien; d.h. ob die Durchgangsquoten zufriedenstellend sind und ob die sie Population hinreichend schützen.
- Erfolgskontrollen: schätzen ab, ob die getroffenen Massnahmen einen Effekt auf die Dynamik der Gesamtpopulation haben.
- Effizienzkontrollen: haben einen ökonomischen Ansatz und untersuchen, wie der Mitteleinsatz vom Bau der Anlagen in Relation zum Artenschutzziel steht