Sanierung von Trockenmauern
Trockenmauern sind wunderschön, strukturieren die Landschaft und sind wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Umso besser also, hat in den letzten Jahren ein Trend zum Bau und zur Restaurierung von Trockenmauern eingesetzt. Die Sanierung einer bestehenden Mauer muss aber gut überlegt sein: Sie birgt das Risiko, dass einzigartige Lebensräume, etwa für Reptilien, für lange Zeit verloren gehen. Ein Plädoyer für den Mut zur Unordnung.
Seit einigen Jahren erfährt die Schweiz ein regelrechtes Trockenmauer-Revival: Der kulturhistorische und ökologische Wert dieser Elemente der traditionellen Kulturlandschaft ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Landauf, landab werden im Rahmen unterschiedlichster Projekte Trockenmauern neu gebaut oder instand gestellt.
Trockenmauern kurz erklärt
Trockenmauern sind Mauerwerke aus Natursteinen, die ohne Mörtel – eben trocken - gebaut werden. Sie fanden in der Landschaft traditionell Anwendung als Abgrenzung von Weiden, als Stützmauern am Hang und im Hausbau. Eine hervorstechende Eigenschaft von Trockenmauern ist ihre Stabilität und Elastizität, z.B. bei Bodenbewegungen oder Temperaturwechseln. 2019 wurde der Trockenmauerbau in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Was mit grossem handwerklichem Geschick und oft in Fronarbeit geleistet wird, ist nicht nur landschaftsästhetisch und heimatkundlich von grossem Wert, sondern auch als Lebensraum für eine ganze Reihe von Tier- und Pflanzenarten. Gerade für Reptilien, aber auch für Amphibien dienen Trockenmauern als Winterquartier, als Unterschlupf, als Sonnenterrasse und nicht selten auch als Nahrungsquelle. Die meisten Reptilienarten legen ihre Eier zuweilen unter geeigneten Steinplatten ab. Trockenmauern schaffen im Grunde künstliche Lebensräume - Ersatzlebensräume für durch den Menschen zerstörte natürliche Habitate.
Bis eine Trockenmauer aber diesen Wert erreicht, vergehen Jahrzehnte. Nur die Mauereidechse besiedelt neue Mauern sofort. Aber erst, wenn die Trockenmauer - durch klimatische und andere Einflüsse verursachte - Hohlräume aufweist und am Mauerfuss und auf der Mauerkrone eine gewisse Pflanzendeckung vorhanden ist, wird sie für anspruchsvollere Arten wie Schlangen interessant.
Umso verheerender ist es für Tiere, die eine Trockenmauer als Habitat gewählt haben, wenn diese Mauer abgerissen und neu gebaut wird. Nicht nur werden Tiere durch die Bauarbeiten getötet und wird der Lebensraum direkt zerstört – es entsteht zumeist auch kein Rückzugsort, an den sich vertriebene Tiere zurückziehen können. Eine neue Mauer ist in der Regel so gebaut, dass kaum Lücken und schon gar keine deckenden Strukturen wie Bewuchs oder Totholz vorhanden sind. Werden ganze Trockenmauerregionen saniert, droht ein ganzes Netzwerk an Lebensraumstrukturen verloren zu gehen!
Natürlich ist in manchen Fällen eine Totalsanierung notwendig, etwa, wenn eine Trockenmauer ihre Stützfunktion an einem Rebberg nicht mehr gewährleisten kann oder wenn eine Mauer am Strassenrand einzustürzen droht. In vielen Fällen aber müsste ein vollständiger Abbruch und Neubau noch einmal überdacht werden; allfällige zur Verfügung stehende Naturschutzgelder könnten stattdessen für eine neue Trockenmauer in der Nähe der alten oder für die naturnahe Pflege der Mauerumgebung eingesetzt werden.
Reptilienfreundliche Sanierung
Wenn im Zusammenhang mit einer alten Trockenmauer also Naturschutzaspekte im Vordergrund stehen, ist es ratsam, sich noch einmal zu fragen: Ist die Sanierung tatsächlich notwendig? Wäre ein Neubau andernorts nicht die bessere Wahl?
Fällt der Entscheid für eine Sanierung, gibt es folgende Möglichkeiten, eine Restauration verträglich vorzunehmen:
- Sanierung wenn möglich nicht während der Wintermonate (Störung von Tieren in der Winterruhe)
- Nur einen Teil der Mauer sanieren, falls nicht das gesamte Mauerwerk sanierungsbedürftig ist
- Etappierte Sanierung über mehrere Jahre: Im ersten Jahr nur einen Teil der Mauer sanieren; dabei das alte Steinmaterial direkt neben der Mauer anhäufen und belassen, Bewuchs zulassen
- In der neuen Trockenmauer bewusst Lücken als Unterschlupf einplanen
- Neben oder vor der neuen Mauer Asthaufen anlegen oder übrig gebliebene Steinen anhäufen
- Auch nach dem Bau der neuen Mauer einen Vegetationssaum von mindestens einem halben Meter vor der Mauer stehen lassen, ebenfalls auf der Mauerkrone
- Bewuchs der Trockenmauer zulassen, wenn dieser das Mauerwerk nicht negativ beeinflusst (Wurzelwerk)
- Ganz wichtig: Sogenannte Lese- oder Wurfsteinwälle, die gar nie Trockenmauern waren, nicht in Trockenmauern umwandeln.
Weitere Informationen finden Sie in unserer Publikation zur Sanierung von Trockenmauern (Download unten).
Unterhalt
Eine Trockenmauer benötigt Unterhalt. Wird dieser regelmässig vorgenommen, dauert es auch viel länger, bis eine Mauer beispielsweise so stark von Wurzeln durchwachsen oder einsturzgefährdet ist, dass sie vollständig abgebrochen und neu aufgebaut werden muss.
Es ist zu wünschen, dass die Wertschätzung von Trockenmauern bestehen bleibt, dass aber auch die Wertschätzung für Zerfallendes, Unordentliches und Überwuchertes wächst. Eine teilweise eingestürzte Trockenmauer, die letztlich ein chaotisches Band aus Gebüsch, Kraut- und Altgrasinseln sowie Steinen und Mauerwerk bildet, ist aus Naturschutzsicht von immensem Wert. Lassen wir Trockenmauern so lange wie möglich stehen und pflegen sie sanft - die Reptilien und viele andere Artengruppen werden es uns danken.
Literaturhinweis:
Trockenmauern – Grundlagen, Bauanleitung, Bedeutung. Stiftung Umwelteinsatz Schweiz (Hrsg.), Haupt Verlag Bern, 2014.