Was geschieht mit Reptilien, wenn sich das Klima erwärmt?
Die Erwärmung des Klimas wirkt sich in zweifacher Hinsicht auf Reptilien aus: Zum einen verändert sich die saisonale Aktivitätsperiode der Arten, zum anderen ihr potenzielles Verbreitungsgebiet. Wärmebedürftigere Arten werden profitieren und lokal Areale erschliessen können, während Arten mit einer eher nördlichen Verbreitung, wie die Kreuzotter und die Waldeidechse, Arealverluste verzeichnen werden.
Wird es im Frühjahr zeitiger warm, endet auch die Winterruhe der Reptilien früher. Seit 1990 hat sich die Phänologie der heimischen Reptilien um rund 17 Tage vorverschoben, wie eine soeben erschienene Studie zeigt. Das heisst, ihre Aktivitätsperiode beginnt im Frühjahr einen ganzen Monat früher als noch vor 50 Jahren. Entsprechend kann sich die längere Aktivitätsperiode auch auf den Entwicklungszyklus der Arten auswirken. So wird beobachtet, dass lebendgebärende Schlangenarten wie die Aspisviper (Vipera aspis) heute tendenziell früher werfen als noch vor 30 Jahren. Im Berggebiet finden Geburten häufig schon Ende August, Anfang September statt, während diese Phase Ende der 1980er-Jahre erst Ende September einsetzte. Diese Verschiebung könnte sich positiv auf die Bestände der Aspisviper auswirken: Werfen die Weibchen früher, bleibt ihnen vor der Winterruhe mehr Zeit für den Beuteerwerb, was ein höheres Körpergewicht zu Beginn und damit grössere Überlebenschancen während der Winterruhe zur Folge hat.
Auch auf die Höhenverbreitung von Reptilien haben die wärmeren Temperaturen einen Einfluss. Beim Verbreitungsoptimum lässt sich zwar keine signifikante Höhenverschiebung verzeichnen. Doch hat sich die Obergrenze der Verbreitungsgebiete deutlich nach oben verschoben: Um 60 bis 70 Höhenmeter pro Dekade seit 1990, in anderen Worten um etwa 190 Meter!
Das besiedelbare Areal der Reptilien hat sich also verändert und wird sich in den nächsten Jahrzehnten weiter verändern. Einen Einfluss hat dies vorab auf Arten, die bei uns ihre südliche Verbreitungsgrenze haben wie die Kreuzotter (Vipera berus) und die Waldeidechse (Zootoca vivipara). Bei wärmeren Temperaturen können sie zwar in höher gelegene Bereiche ausweichen; ab einer gewissen Höhenstufe sind die notwendigen Lebensraumbedingungen dann aber nicht mehr gegeben. Im Fall der Kreuzotter kommt dazu, dass sie nur ungern neue Lebensräume besiedelt, auch wenn diese – aus unserer Sicht – ideal sind. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass die Bestände dieser beiden Arten voraussichtlich abnehmen.
Handkehrum nehmen Arten, für welche die Schweiz bisher die nördliche Verbreitungsgrenze darstellte, tendenziell zu, da sich ihr potenzielles Verbreitungsareal ausdehnt. Sehr auffällig tritt das bereits heute bei der Mauereidechse (Podarcis muralis) zutage, die eine stetige und beträchtliche Arealerweiterung erlebt. Es dürften auch andere Faktoren mitspielen, dass sich die Mauereidechse derart in Ausbreitung befindet – das wärmere Klima ist mit Sicherheit einer davon. Eine andere Art, die bei geeigneten Lebensraumbedingungen theoretisch von den wärmeren Temperaturen profitieren könnte, ist die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), von der es in der Schweiz nur wenige fortpflanzungsfähige Populationen gibt. Interessant ist auch der Fall der Barrenringelnatter (Natrix helvetica): Sie wird heute vermehrt aus Höhenlagen von über 2000 m ü. M. gemeldet, was noch vor 20 Jahren eine grosse Ausnahme war; die Art scheint sich im Alpenraum grundsätzlich höhere Lagen zu erschliessen.
Der zunehmende Handelsverkehr trägt vermutlich zur Verbreitung von Arten bei, die bisher bei uns nicht heimisch waren. Beispielsweise dürfte die grosse Nachfrage nach mediterranen Gartenpflanzen wie Olivenbäumen vermehrt zur unabsichtlichen Einfuhr von südeuropäischen Echsenarten führen. Herrschen geeignete klimatische Bedingungen, steht einer Besiedlung bei uns kaum noch etwas im Weg. So hat sich der Mauergecko (Tarentola mauritanica), eine ursprünglich westmediterrane Art, in den letzten Jahren lokal im Tessin etabliert. Im Fall einer Zunahme dieser Art sind kaum negative Auswirkungen auf andere Reptilienarten zu erwarten, da sie eine andere ökologische Nische besetzt als die heimischen Arten.
Zuweilen gelangen südeuropäische Eidechsen mit Bahntransporten in die Schweiz. Beobachtungen der Ruineneidechse (Podarcis siculus), natürlicherweise in Italien und entlang der dalmatinischen Küste verbreitet, und der mittelitalienischen Unterart der Mauereidechse (Podarcis muralis nigriventris) nehmen zu.